AQUARELLE
Alle Aquarelle bis auf das Selbstportrait sind im Sommer 1964 im Rahmen meines Aufenthaltes an der "Schule des Sehens " der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg, gegründet von Oskar Kokoschka, entstanden. Mein damaliger Lehrer war Prof. Szyskowitz, der den Aquarellierkurs leitete. Das Prinzip von Oskar Kokoschka an dieser "Schule des Sehens" war, unmittelbar mit der Aquarellfarbe und dem Pinsel den erlebten Eindruck festzuhalten, ganz im Sinne des expressionistischen Meisters. Es war verboten, die Konturen der Akte oder Gesichter mit Bleistift oder Kohle vorzuzeichnen. Unbeschwert Wesentliches in Farbe und Form Festzuhalten, wurde immer wieder eingeübt: die Aquarelle wurden auf einer Staffelei angefertigt, so daß bei entsprechender Verdünnung der Wasserfarben die Streifen zum unteren Bildrand hin entstanden. Der erste visuelle Eindruck wird mit wenigen raumschaffenden Pinselstrichen fixiert, ohne Rücksicht darauf, ob das Bild in seiner linearen oder farbigen Struktur zersetzt wird, oder ob das Sujet nur mit wenigen Abstufungen in hell und dunkel "wahrgenommen" wird. Hieraus folgt ein konzentrierter "eruptiver" Arbeitsgang des Sehens und sofortigen Malens, ohne längeres Verweilen , da nach einem Ausspruch Kokoschkas, "ein Fertigmalen die Wiedergabe des Eindrucks nur verfälschen würde". Ich erinnere mich, daß ich im 4-wöchigen Kurs in den ersten Tagen wenig Erfreuliches zuwege brachte, weil ich bemüht war, möglichst wirklichkeitsgetreu zu aquarellieren . Erst als ich den Mut aufbrachte, bewußt auf dieses Ideal einer realistischen Wiedergabe zu verzichten und Wesentliches, Eindrückliches einzufangen versuchte, machte es mir plötzlich Spaß, und ich erlebte dies wie eine Befreiung. Die Verdünnungsmöglichkeiten der Aquarellfarben und die hierdurch zu erzielende unterschiedliche Dichte wurde zum Element des Gestaltens, zum Weglassen oder "Einfangen" der Körperhaltung und des Gesichtsausdruckes. Diese Art des Aquarellierens könnte man auch mit der Technik des Modellierens vergleichen: die Farbintensität und die Breite der Stichführung bedingt die Konturierung, begrenzen und halten die Gestalt. Damit jeder gezwungen war, schnell und spontan die jeweilige Pose ins Bild zu setzen, hatten die
Akt-stehenden Personen die strenge Vorgabe, jeweils nur 5 Minuten eine entsprechende Haltung einzunehmen und dann zu wechseln. Deutlich wurde jedem Teilnehmer, daß der Ausdrucksgehalt ganz bewußt als individuelle Note des Malers gewünscht, ja gefordert wurde. Aufforderung und Ermutigung zur subjektiven Ausdrucksgestaltung wurde für mich Antrieb, mich im weiteren Verlauf meiner Freunde am Malen von den Wasserfarben und dem Papier sowie dem Pinsel zu entfernen, andere Werkzeuge, Materialien und Unterlagen auszuprobieren, um einen gewünschten Ausdruck, d.h einer äußeren oder inneren Wahrnehmung einer Befindlichkeit, Gestalt zu verschaffen. Dies führte dazu, daß das Aquarellieren lediglich zwei Jahre lang Medium um für mich war, Impressionen expressiv wiederzugeben. Der Mensch, sein Körper, den er nicht nur hat, sondern der er auch ist, sollte mich als Mediziner und Psychiater weiter begleiten; es ist für mich deshalb kein Zufall, daß in meinen späteren Collagen das Thema "Mensch", seine Körperlichkeit und Verletzlichkeit erneut in dem Mittelpunkt rückte.